SelbstportraitNach vielen Jahren als Japan-Korrespondentin und als Parlaments-Redakteurin in Bonn und Berlin bin ich 2004 in Hamburg gelandet. Dort habe ich als feste Freie für die Financial Times gearbeitet. Von 2013 bis 2020 lebte ich mit meiner Familie in London. Hier arbeitete ich als Autorin für deutschsprachige Medien. Seit 2020 lebe ich wieder in Deutschland und schreibe als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen.

.Selbstportrait Tina Stadlmayer

Gemeinsam mit FreundInnen habe ich 2006 das Kultwerk West in Altona gegründet. Ich organisierte und moderierte dort regelmäßig Diskussionen zu gesellschaftspolitischen und Themen. Meine Schwerpunkte als Journalistin sind: Innenpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik, Bildungspolitik, Frauenpolitik und Migrationspolitik.

Frauen im Politikjournalismus – ein persönlicher Rückblick
in: 20 Jahre Journalistinnenbund – eine Festschrift, September 2007

Von Tina Stadlmayer

1986 herrschte Aufbruchstimmung. Ich reiste mit einem einzigen großen Koffer von München nach Bonn. Das Journalistik-Diplom in der Tasche, trat ich meine erste Redakteursstelle im Parlamentsbüro der taz an. Die Grünen waren kurz zuvor in den Bundestag eingezogen - und mit ihnen die Idee, dass die Hälfte aller Mandate und Ämter von Frauen ausgeübt werden sollte. Eine Zeit lang herrschte sogar das Feminat, der ausschließlich mit Frauen besetzte Grünen-Fraktionsvorstand. Das bedeutete eine kleine Revolution im von Männern dominierten Regierungsviertel. Die SPD-Frauen ließen sich mitreißen und setzten wenig später die parteiinterne 40-Prozent-Quote durch.

Im Bonner Taz-Büro waren wir zwei Redakteurinnen und ein Redakteur - eine ungewöhnliche Situation, denn in den anderen Parlamentsbüros arbeiteten überwiegend Männer. Die Bonner Redaktionen der „Süddeutschen“ oder der „Zeit“ waren frauenfreie Zonen. Andere Zeitungen leisteten sich eine Alibifrau, die in der Regel für Familien- und Sozialpolitik zuständig war. In der Politik war es ähnlich: Im Kabinett von Bundeskanzler Kohl saßen 1986 nur zwei Ministerinnen, Rita Süssmuth und Dorothee Wilms. Rita Süssmuth hatte gerade Heiner Geißler als Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit abgelöst und bekam das neu geschaffene Aufgabengebiet „Frauen“ dazu.

Da Politik-Redakteurinnen damals Seltenheitswert hatten und im Bundestag nur wenige Politikerinnen saßen, war der Kontakt unter den Frauen besonders wichtig. Ich habe erlebt, dass er funktionierte. Nicht nur zu den Grünen-Abgeordneten, auch zu vielen Sozialdemokratinnen, Liberalen, den CDU/CSU-Frauen und den Ministerinnen hatten wir Redakteurinnen einen guten Draht. Es war allerdings auch ein Bündnis der Machtlosen. Denn die Kernthemen der Innen- und Außenpolitik machten die Herren Redakteure und Politiker weitgehend unter sich aus.

1987 gründete sich der Journalistinnenbund und ich wurde etwas später Mitglied in der Regionalgruppe Köln-Bonn. In Bonn gab es neben zahlreichen männlich dominierten Hintergrundkreisen auch eine bunte Runde frauenpolitisch engagierter Kolleginnen: die „Lila Karte“.1988 kam das „Rote Tuch“ dazu, ein Kreis von zunächst vier, später 14 Parlamentskorrespondentinnen. Das „Rote Tuch“ trifft sich noch heute und lädt dazu Politikerinnen oder Politiker ein. Es gelten die gleichen Spielregeln wie bei allen Hintergrundgesprächen: Was „unter Eins“ gesagt wird dürfen die Kolleginnen zitieren, was „unter Zwei“ berichtet wird, dürfen sie verwenden ohne die Quelle zu nennen. Alles was PolitikerInnen „unter Drei“ erzählen, ist reine Hintergrundinformation und darf weder veröffentlicht noch weiter gesagt werden.

Wir hatten die Gelegenheit Ministerinnen und Minister in lockerer Atmosphäre kennen zu lernen und bekamen ein Gefühl dafür, wie sie denken und arbeiten. Die Informationen aus solchen Gesprächen helfen, politische Ereignisse einordnen und kommentieren zu können. Die PolitikerInnen nutzten die Veranstaltungen um zu hören, wie die Journalistinnen auf ihre Ideen und Initiativen reagieren. Am ergiebigsten waren die Treffen mit PolitikerInnen aus der zweiten Reihe, die meist offen über ihre Parteien redeten und uns auch exklusive Informationen zukommen ließen.

Ein großes Problem ist es für Frauen-Hintergrundkreise bis heute, dass die meisten Mitglieder Familie haben und deshalb nicht jeden Tag spät nach Hause kommen können. Frauenkreise treffen sich deshalb auch zu Frühstücksrunden oder am frühen Abend. Das kommt übrigens auch den Politikerinnen entgegen.

1987 wechselte ich von der Taz ins Bonner Spiegel-Büro. Das war ein Kulturschock: von der lockeren zwei-Frauen-und-ein-Mann-Redaktion in einen reinen Männer-Laden. Während ich bei der Taz für Innenpolitik zuständig war, landete jetzt auf meinem Schreibtisch alles, womit die Kollegen nicht so viel anfangen konnten: Familienpolitik, Soziales, Gesundheit, Minderheiten. Immerhin hatte ich keine Probleme, ins Blatt zu kommen, denn die Erkenntnis hatte sich durchgesetzt, dass meine Themen die LeserInnen interessieren.

Am 9. November 1989 wurden wir vom Fall der Mauer überrascht und hatten plötzlich das Gefühl am falschen Ort zu sein. Dutzende von Spiegel-RedakteurInnen machten sich in die DDR auf. Ich verbrachte in Leipzig und Ostberlin viele Abende mit KünstlerInnen, BürgerrechtlerInnen und anderen nachdenklichen Menschen. Sie diskutierten nächtelang, wie die Zukunft der DDR aussehen sollte. Doch dann ging alles ganz schnell: Kohl stellte sein 10-Punkte-Programm zur Wiedervereinigung vor. Als er ein halbes Jahr später vor der Bundespressekonferenz verkündete, Gorbatschow habe den Weg zur Einheit frei gemacht, applaudieren die Journalisten. Nach dem Beitritt der DDR und der Bundestagswahl 1990 brachten die PolitikerInnen und JournalistInnen aus dem Osten neue Themen nach Bonn. Die Diskussion um eine Verfassungsreform flackerte auf und erlosch schnell wieder. Der Bonner Politikbetrieb ließ sich durch die Wiedervereinigung nicht aus der Ruhe bringen.

1991 ging ich dann für fünf Jahre als Korrespondentin der Frankfurter Rundschau und anderer Zeitungen nach Japan. Als ich wieder nach Bonn zurückkam, staunte ich, wie wenig sich verändert hatte: Die KollegInnen saßen an ihren alten Arbeitsplätzen und die Bundestagsabgeordneten diskutierten noch immer über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe.

Durch den Sieg von Rot-Grün bei der Bundestagwahl 1998 und den Umzug der Regierung nach Berlin ging die Bonner Republik abrupt zu Ende. In Berlin wurde alles unübersichtlicher. Niemand wusste mehr, wer sich wo mit wem traf. Etliche erfahrene JournalistInnen blieben in Bonn während in Berlin neue Hintergrundkreise entstanden.

Zum „Roten Tuch“ stießen Kolleginnen aus dem Osten dazu. Wir profitierten jetzt sehr von unseren engen Kontakten zu den Abgeordneten von SPD und Grünen, von denen einige nun im Kabinett saßen. Die fünf Ministerinnen der rot-grünen Regierung waren für Familie und Gesundheit zuständig, für Justiz, Bildung und Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Besetzung der Kernressorts mit Männern hatten Bundeskanzler Schröder und sein Vize Fischer allerdings schon vor der Wahl ausgemauschelt.

2006 haben sich mit der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin die Machtverhältnisse in Berlin weiter zu Gunsten der Frauen verschoben.

Ich arbeitete nach dem Regierungsumzug im Parlamentsbüro der Taz, später als Redakteurin im Team Politik und Wirtschaft der Financial Times Deutschland (FTD). Bei der FTD teilte ich mir eine Stelle mit einer Kollegin. Sie arbeitete von Montag bis Mittwoch, ich von Mittwoch bis Freitag. Wichtige Interviews führten wir gemeinsam. Wir bewiesen, dass auch verantwortungsvolle Stellen mit zwei Teilzeit-Redakteurinnen besetzt werden können, ohne dass die Arbeit darunter leidet. Die Qualität steigt sogar, weil zwei Redakteurinnen mehr Ideen und Engagement einbringen, als eine. So gingen wir zum Beispiel auch an unseren freien Tagen zu Hintergrundgesprächen. Dank der halben Stelle und mit Hilfe des guten Angebots an Ganztagsbetreuung in Berlin, konnte ich in dieser Zeit Beruf und Familie mit zwei kleinen Kindern relativ stressfrei unter einen Hut kriegen.

In ihrer jüngsten Journalistenstudie zeigen Siegfried Weischenberg und Maja Malik, dass der Anteil von Frauen in den Redaktionen Politik und Wirtschaft mit 34 und 37 Prozent inzwischen ungefähr genauso hoch ist, wie der Frauenanteil bei den Festangestellten insgesamt (37 Prozent). Auch die Zahl der Redakteurinnen in den Parlamentsbüros ist in den vergangenen zwanzig Jahren gestiegen. Bei Hörfunk und Fernsehen besetzen dank der Frauenförderpläne Journalistinnen viele Stellen. Sie sind nicht mehr auf Sozial- und Familienpolitik festgelegt, sondern beackern alle Felder, inklusive Innenpolitik, Außenpolitik Wirtschaft und Verteidigungspolitik. Bei vielen Printmedien sieht es dagegen immer noch traurig aus. Im Hauptstadtbüro des Spiegel arbeiteten zum Beispiel eine Redakteurin und 17 Redakteure.

Interessant ist, wie sich das Verhältnis von Männern und Frauen in der Bundespressekonferenz verändert hat. Diese von JournalistInnen gegründete Institution lädt Regierungsmitglieder, PolitikerInnen und VerbandsvertreterInnen ein. Die Gäste geben ihre Erklärungen ab und müssen die Fragen der JournalistInnen beantworten. 1950, ein Jahr nach der Gründung, waren immerhin 12 Prozent der Mitglieder Frauen. Etliche der 20 damals in Bonn akkreditieren Journalistinnen arbeiteten für ausländische Medien. Dreißig Jahre später war der Anteil der Frauen auf neun Prozent gesunken. Heute sind immerhin 233 der insgesamt 919 Mitglieder weiblich, das entspricht etwa einem Drittel.

Insgesamt hat sich die Arbeitsweise in den Parlamentsbüros in den vergangenen Jahren sehr verändert. Als ich vor zwanzig Jahren anfing, hatten wir keine Agenturmeldungen und kein Internet. Wir trafen uns mit PolitikerInnen oder telefonierten mit ihnen, um an Informationen zu kommen. Heute machen sich manche nicht mal mehr die Mühe, die Bundespressekonferenz zu besuchen. Sie verzichten damit auf die Chance, eigene Fragen zu stellen. Die hohe Arbeitsverdichtung in den Redaktionen führt dazu, dass RedakteurInnen oft nur noch Agenturmeldungen lesen, die eine oder andere Reaktion aus dem Internet holen und daraus ihre Beiträge stricken. Fast-Food-Journalismus breitet immer mehr aus – egal ob Frauen oder Männer am Werk sind.

Karriere und Familie zu vereinbaren ist in den vergangenen Jahren in unserem Beruf schwieriger geworden. Zehn bis Zwölf-Stunden-Tage sind Politik-Korrespondentinnen inzwischen die Regel. Es ist also kein Wunder, dass es in den Parlamentredaktionen genauso aussieht, wie in anderen verantwortungsvollen Bereichen: Unter den Jüngeren ist der Anteil der Frauen noch relativ groß, mit zunehmendem Alter, wenn die Familienphase beginnt, nimmt der Frauenanteil deutlich ab. Trotzdem möchte ich alle jungen Kolleginnen ermutigen, sich für den spannenden Beruf der politischen Berichterstatterin zu entscheiden.

Nicht für voll? Organisierter Doppelpack

Von Gudrun Sonnenberg

Auch im harten, hektischen Nachrichtenjournalismus und in der Privatwirtschaft ist Teilzeitarbeit möglich. Das beweisen seit Oktober 2000 täglich Karin Nink und Tina Stadlmayer. Sie teilen sich eine Stelle als Parlamentskorrespondentinnen für die Financial Times Deutschland in Berlin. Karin Nink arbeitet von montags bis mittwochs, Tina Stadlmayer von mittwochs bis freitags. Mittwochs arbeiten beide, um eine saubere, persönliche Übergabe zu gewährleisten. Manchmal schreibt die eine fertig, was die andere anrecherchiert hat. Für Eitelkeiten ist kein Platz: "Wir unterzeichnen viele Artikel mit beiden Namen", sagt Tina Stadlmayer. Die meisten Informanten haben sich an das Doppelpack gewöhnt. Zudem sind beide Frauen auch außer Dienst noch über Handy erreichbar, so dass ihnen auch die besonderen Geschichten nicht entgehen. Dass die Zusammenarbeit so gut funktioniert, ist kein Zufall. Stadlmayer und Nink, beide Mütter, hatten vorher schon ein Jahr lang vollzeit als Parlamentskorrespondentinnen der taz gearbeitet. Als die FTD ihre Redakteure suchte, erklärten Nink und Stadlmayer, dass sie sich eine Stelle teilen wollten. "Mit einer Fremden hätte ich das gar nicht erst versucht", sagt Karin Nink. Die FTD, die damals großen Personalbedarf hatte, ließ sich auf dieses und weitere Teilzeit-Experimente ein. Immerhin arbeiten 19 von 160 Redakteuren des Blattes teilzeit. Thomas Hanke, Politikchef der FTD und Vorgesetzte von Tina Stadlmayer und Karin Nink, ist bis heute sehr zufrieden. "Die beiden teilen sich nicht nur die Stelle, sondern auch ihre Kontakte", sagt er.

Wir haben keine Probleme die Stellen mit Frauen zu besetzen

Interview mit Bascha Mika, Chefredakteurin „die tageszeitung“, Berlin

Interview: Tina Stadlmayer

Wie kommt es, dass bei der taz mehr Redakteurinnen als Redakteure arbeiten und fast jede zweite Ressortleiterstelle mit einer Frau besetzt ist?

In unserem Redaktionsstatut ist die Quotierung festgeschrieben. Frauen müssen in der Redaktion ebenso häufig vertreten sein wie Männer.
Die Quotierung haben die Redakteurinnen 1980, also ein Jahr nach der Gründung der taz, mit einem Streik durchgesetzt. Wir waren damit der erste quotierte Betrieb der Republik. Inzwischen gehört das ausgewogene Verhältnis von Frauen und Männern längst zu unserer Unternehmenskultur.
Zu dieser Kultur gehört es übrigens auch, dass fast alle Redakteure, die Vater werden, Elternzeit nehmen.

Welche Auswirkungen hat die ausgewogene Besetzung der Stellen auf das Betriebsklima?

Bei uns herrscht eine angenehme Arbeitsatmosphäre, finde ich. Aber auch bei uns kommt es vor, dass auf einer Redaktionskonferenz vor allem Männer reden. Dann wird die Diskussion gleich einen Tick mehr zum Hahnenkampf, als wenn sich Männer und Frauen beteiligen.

Was bedeutet es für die Zeitung, dass sie eine Chefredakteurin hat?

Eine Zeitung, bei der eine Frau Chefin ist, zeigt dass sie für Geschlechterfragen und Geschlechtergerechtigkeit sehr viel offener ist, als andere Unternehmen

Die taz hat den Anspruch, dass die Belange von Frauen in der politischen Berichterstattung und in allen anderen Teilen der Zeitung vorkommen sollen. Wie versuchen Sie den Anspruch zu verwirklichen?

Es gibt zwei Frauen-Redakteurinnen mit je einer halben Stelle, die sich dafür besonders einsetzen. Aber die schaffen das natürlich nicht alleine. Jede Redakteurin, jeder Redakteur muss sich überlegen: Wen interviewe ich? Über wen schreibe ich?

Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Nur teilweise. Der Anspruch, dass Frauen vorkommen sollen, wird nicht immer erfüllt. Manche Ausgaben sind ziemliche Männer-Blätter. Aber wir arbeiten daran.

Ist es schwierig, qualifizierte Redakteurinnen für das Parlamentsbüro und die Inlandsredaktion zu finden?

Nein, wir haben keine Probleme die Stellen mit Frauen zu besetzen. Es gibt genügend gut qualifizierte Journalistinnen.

Seit 1998 sind Sie Chefredakteurin der taz. Von den Chefs überregionaler Zeitungen ist nur Hans-Werner Kilz von der Süddeutschen Zeitung länger Chefredakteur. Wie haben Sie es geschafft, so lange zu bleiben, obwohl die taz doch dafür berüchtigt ist, ihre ChefInnen im Nu zu verschleißen.

Ich bin eine gute Journalistin, zeige ein sicheres Gespür, wo und wie sich die Zeitung entwickeln muss, habe eine hohe soziale Kompetenz und Respekt vor den MitarbeiterInnen.

Gerade die beiden letzten Punkte sind in einem Betrieb wie der taz mit flachen Hierarchien und großem Kommunikationsbedarf sehr wichtig.

Interview: Tina Stadlmayer

Zur Person:
Bascha Mika wurde 1954 in Polen geboren. Seit 1988 arbeitet sie bei der taz, seit 1998 ist sie Chefredakteurin

„Frauen schleppen Konflikte manchmal jahrelang mit sich herum“
Interview mit Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur „Die Zeit“

Als Sie 2004 als Chefredakteur der „Zeit“ antraten, haben Sie das Ziel formuliert, mehr Leserinnen gewinnen zu wollen. Ist Ihnen das gelungen?

Wir haben unsere Reichweite um 150.000 vergrößert, und diese Steigerung verdanken wir fast ausschließlich neu hinzugekommenen Leserinnen. Gleichzeitig sind uns die männlichen Leser treu geblieben. Besonders erfreulich ist, dass viele Neuabonnenten zwischen 20 und 30 Jahre alt sind.

Wie haben Sie das geschafft?

Wenn in der Innenpolitik wenig Spannendes geschieht, schreiben wir mehr über gesellschaftliche Themen. Besonders erfolgreiche Titel in den letzten Jahren lauteten zum Beispiel: „Was ist männlich?“, „Wir brauchen einen neuen Feminismus“, und „Die Emanzipationsfalle“. Artikel über die Mechanik der Macht interessieren Frauen und jüngere Leser weniger.

Sie hatten auch angekündigt, mehr leitende Positionen mit Frauen besetzen zu wollen. Haben Sie das geschafft?

Wir haben gerade beschlossen, ein Schlüsselressort mit einer Frau zu besetzen: Vom 1. August an wird Brigitte Fehrle unsere Hauptstadtredaktion leiten. Wir haben schon eine Chefin vom Dienst, eine Ressortleiterin des Reise-Teils, eine Foto-Chefin und eine Text-Chefin. Leider ist die Ressortleiterkonferenz aber immer noch überwiegend männlich besetzt. Deshalb laden wir inzwischen Redakteurinnen mit ein.

Ist es so schwer, Frauen für leitende Aufgaben zu finden?

Manche Kolleginnen, die dafür durchaus geeignet wären, sagen zum Beispiel, dass sie sich die Machtkämpfe unter Männern nicht antun wollen. So eine Stelle erfordert viel Frustrationstoleranz, sie bedeutet 10 Prozent Freude und 90 Prozent Pflicht. Männer gehen damit anders um. Ihnen ist das soziale Prestige wichtiger.

Verändern Frauen in leitenden Positionen die Zeitung?

"Beim "Tagesspiegel" gab es in meiner Zeit als Chefredakteur und auch danach eine Politik-Chefin, eine Wirtschafts-Chefin, eine Chefin der Parlamentsredaktion, eine Medien-Chefin, eine Feuilleton-Chefin und eine stellvertretende Chefredakteurin. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht. In den Redaktionskonferenzen wurde konzentriert an der Blattgestaltung gearbeitet, und es ging weniger um Statusmarkierung. Allerdings: Männer können Konflikte besser austragen als Frauen. Sie streiten sich einmal heftig, dann ist es wieder gut. Frauen schleppen Konflikte manchmal jahrelang mit sich herum.

Werden Sie die Zahl der Redakteurinnen bei der „Zeit“ erhöhen?

Seit meinem Antritt als Chefredakteur sind 45 Prozent der Neueinstellungen Frauen. Aber das Verhältnis in den Redaktionen ist noch nicht so, wie ich es mir wünsche.

Gibt es Teilzeit-Stellen bei der „Zeit“?

Einige Redakteure und Redakteurinnen reduzieren ihre Arbeitszeit, wenn sie Kinder bekommen. Im Literaturressort haben wir eine Stelle mit zwei Personen besetzt. Unter den verschiedenen Teilzeit-Modellen leidet aber leider oft die Kommunikation und Effizienz im Ressort.

Interview: Tina Stadlmayer

Zur Person:
Giovanni di Lorenzo wurde 1959 als Sohn einer Deutschen und eines Italieners geboren. Er leitete die Seite-Drei-Redaktion der Süddeutschen Zeitung und war Chefredakteur der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“. Seit 2004 ist er Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“.

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