Milde für süchtige, Härte gegen Dealer

08.05.2012

Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) über neue Wege in der Drogenpolitik


SPIEGEL: Weltweit führen die Regierungen einen Krieg gegen Drogen. Sie haben ihn offenbar verloren, alle Gegenkonzepte sind gescheitert. Brauchen wir nicht eine völlig neue Drogenpolitik?

SÜSSMUTH: Zunächst gilt es, sorgfältig zu bilanzieren, was hat denn in der Welt zu Teilerfolgen, und was hat zu Mißerfolgen geführt. Erst dann können wir entscheiden, wo Veränderungen notwendig sind.

SPIEGEL: Aber die Zeit drängt. Weil die Situation an der Drogenfront immer katastrophaler wird, fordern Experten das bislang Undenkbare: die Freigabe aller Drogen - vom Haschisch bis zum Heroin. Könnte das auch für die Bundesrepublik eine Lösung sein?

SÜSSMUTH: Ich bin, jedenfalls nach heutigem Erkenntnisstand, gegen eine Legalisierung der Drogen. Sie wird auch nur von einer Minderheit der Experten propagiert.

SPIEGEL: Immerhin: Die Forderung kommt sowohl aus liberalen also auch aus rechtsgerichteten Kreisen. Sie wird von spanischen Richtern ebenso erhoben wie von dem angesehenen britischen Medizinorgan "Lancet" und Schweizer Regierungsbeamten.

SÜSSMUTH: Ich halte dagegen: Die offiziellen Gesundheitspolitiker der UNO sind strikt gegen eine Legalisierung. Die zuständige UNO-Kommission schlägt ganz andere Maßnahmen vor. Zum Beispiel in den Ländern, deren Bewohner vom Rauschgiftanbau leben, andere Produkte anzubauen und dies über die Entwicklungshilfe zu finanzieren. Und in den Vereinigten Staaten, wo ich kürzlich Gespräche geführt habe, wird sogar überlegt, ob man die besten Köpfe aus der militärischen Verteidigung auch im Kampf gegen die Drogeneinfuhr einsetzen soll.

SPIEGEL: Aber alle Polizeistrategien, die auf Abschreckung und Verfolgung beruhen, sind doch kläglich gescheitert. Trotz intensiverer Polizeimaßnahmen gelangen immer mehr Drogen ins Land, steigt die Zahl der Erstkonsumenten stetig an.

SÜSSMUTH: Sie haben recht, den Rauschgifthandel und das Angebot haben wir mit unseren bisherigen Bekämpfungsmaßnahmen nicht entscheidend eingeschränkt. Andererseits sind noch nie so viele Drogen konfisziert worden wie in den letzten Jahren.

SPIEGEL: Es hat aber auch noch nie so viele Tote und einen so dramatischen Anstieg der Rauschgiftkriminalität gegeben.

Drogen-Bekämpferin Süssmuth: "Abhängige brauchen praktische Lebenshilfe" SÜSSMUTH: Vielleicht würde eine Freigabe tatsächlich dazu führen, daß die Beschaffungskriminalität kurzfristig zurückginge und weniger Süchtige durch verunreinigte Drogen zu Tode kämen. Aber der Markt würde mit noch mehr Drogen überschwemmt, und es gäbe noch mehr Drogenabhängige. Deshalb bleibt mein Standpunkt: Bevor wir über eine Legalisierung nachdenken, müssen wir nach anderen Wegen suchen.

SPIEGEL: Müßte man nicht wenigstens diskutieren,. ob die sogenannten weichen Drogen, etwa Haschisch und Marihuana, toleriert werden sollten, wie zum Beispiel in den Niederlanden? Selbst der Caritasverband hat gefordert, Haschisch-Rauchen nur als Ordnungswidrigkeit zu ahnden.

SÜSSMUTH: Für mich ist dabei die entscheidende Frage: Wie gehen wir mit Drogenkonsumenten um,' die weiche Drogen genommen haben?

SPIEGEL: Bislang werden sie als Straftäter behandelt, stehen mit einem Bein im Gefängnis.

SÜSSMUTH: Nicht immer. In der Praxis gibt es ja schon jetzt so etwas wie Duldung. Nehmen Sie mal einen 16jährigen Jungen, der an der holländischen Grenze mit Haschisch erwischt wird. Da werden die Eltern angerufen, damit sie ihren Sohn abholen. Da schaltet sich nicht mal die Polizei ein. Es ist ja nicht immer so, daß detjenige, der sich Haschisch beschafft hat, dann morgen inhaftiert wird. Auch bei uns ist die Gefängnisstrafe für Haschisch-Konsumenten die Ausnahme.

SPIEGEL: Aber die Strafbarkeit ist im Gesetz verankert.

SÜSSMUTH: Hier muß überlegt werden, ob das Betäubungsmittelgesetz nicht der häufig praktizierten Duldung angepaßt werden muß. Ärzte und Drogen berater haben verstärkt die Forderung an uns herangetragen, das Betliub. ungsmiuelgesetz zu überprflfen. Diese Überprflfung wird erfolgen. Das Gesetz muß so gefaßt werden, daß Rechtsklarheit besteht.

SPIEGEL: Das heißt, Sie wollen den Haschisch-Konsumenten straffrei steilen?

SÜSSMUTH: Das muß geprflft werden. Der gewerbsmäßige Handel muß jedoch selbstverständlich verboten bleiben. Gegen die Dealer können wir gar nicht hart genug vorgehen.

SPIEGEL: Bisher trifft die Härte des Gesetzes aber vor allem die Süchtigen. Allein der Besitz eines Spritzbestecks reicht doch schon aus, um festgenommen zu werden.

SÜSSMUTH: Das mit dem Spritzbesteck ist ein Problem. Auch hier gibt es, wie beim Verbot von Haschisch, eine Diskrepanz zwischen der Rechtsnorm und der tatsächlichen Praxis. Zwar kann sich heute jeder Fixer EinwegSpritzen in der Apotheke kaufen. Aber in den Drogenberatungsstellen ist die Verunsicherung groß. Die Berater wissen nicht, ob sie sich strafbar machen, wenn sie Spritzen ausgeben. Dabei ist es wegen der Aids-Ansteckungsgefahr lebenswichtig, daß die Süchtigen Einweg- Spritzen benutzen und keinen Nadel- Tausch praktizieren.

SPIEGEL: Die Aids-Enquete-Kommission des Bundestages schlägt vor, daß der Besitz von Fixer-Nadeln nicht länger polizeilich verfolgt werden soll.

SÜSSMUTH: Dem, was die Kommission hier will, kann ich mich anschließen.

SPIEGEL: Genügt es denn, Neuregelungen auf nationaler Ebene anzustreben?

SÜSSMUTH: Wir brauchen länderübergreifende Regelungen, zumindest in der EG, im Bereich der Abwehr, also der Bekämpfung des Angebots, und beim Strafrecht. Und wir brauchen sie nicht zuletzt im Bereich der Therapie und Hilfe. Ein Beispiel: Vor ein paar Tagen traf ich mich mit dem niederländischen Justizminister. Wir waren uns einig, daß wir noch viel enger kooperieren müssen. Wir müssen zu einer Harmonisierung der Regelungen und Gesetzesvorschriften kommen, brauchen eine gemeinsame Strategie ähnlich wie bei Aids.

SPIEGEL: International schneidet die Bundesrepublik schlecht ab. Niederländische Behörden beklagen sich bitter über den Export westdeutscher Suchtkranker, die im Nachbarland Betreuung und Hilfe suchen, die sie hier nicht kriegen.

SPIEGEL: Wie soll diese Hilfe aussehen?

SÜSSMUTH: Es geht darum, daß Drogenabhängige Häuser, Einrichtungen, Stellen anlaufen können, wo ihnen praktische Lebenshilfe zuteil wird. Sei es, daß sie kommen, um duschen zu wollen oder um Essen zu bekommen. Sei es, daß sie eine Übernachtung brauchen oder eine AnlaufsteIle suchen, um ärztliche Hilfe zu erhalten.

SPIEGEL: Das klingt ja sehr eindrucksvoll. Aber in der Realität fehlt es gerade in Großstädten wie Hamburg, Frankfurt und Berlin an Beratungsstellen, an Übernachtungsmöglichkeiten, an sozialer Betreuung. Es ist kein Geld da und kein Personal.

SÜSSMUTH: Gerade weil wir im Bereich der niedrigschwelligen Angebote eine ausgesprochene Lücke, ein Defizit haben, sind wir dabei, Programme auf den Weg zu bringen fUr diejenigen, die wir bisher nicht erreichen konnten.

SPIEGEL: Wieviel Spielraum haben Sie denn fUr solche Einrichtungen in Ihrem Etat? Wieviel Geld können Sie dafür lockermachen?

SÜSSMUTH: Wir wollen dafür in den nächsten drei Jahren rund 30 Millionen Mark einsetzen.

SÜSSMUTH: Ich Methadon-Therapie in Arztpraxls halte nichts von gegen- Tausende stehen Schlange seitigen Schuldzuweisungen. Aber wir müssen neue Wege gehen.

SPIEGEL: An welche denken Sie?

SÜSSMUTH: Eine Antwort lautet: mehr Angebote in der niedrigschwelligen Hilfe.

SPIEGEL: Was heißt das?

SÜSSMUTH: Das heißt, daß ich Hilfe anbiete, unabhängig davon, ob ein Drogenabhängiger drogenfrei leben will.

Das heißt, Hilfe auch demjenigen nicht zu verweigern, der in Drogenabhängißkeit lebt - ganz egal, ob er eine Therapie machen will oder nicht.

SPIEGEL: Und was ist mit der Finanzierung von Therapieplätzen? Immer wieder klagen Abhängige, daß es Monate dauert, bis sie eine bereits bewilligte Therapie antreten können. Es hat während dieser kritischen Wartezeit schon eine Reihe von Selbstmorden gegeben.

SÜSSMUTH: Das mag sehr formal klingen, aber rur die Therapieplätze sind nun mal in erster Linie die Länder und Kommunen zuständig. Es wäre dringend erforderlich, mehr stationäre Therapieplätze anzubieten. Deshalb haben wir 1988 für rund 100 zusätzliche Plätze, Ausstattungs- und Renovierungshilfen bewilligt.

SPIEGEL: Aber das ist doch alles viel zuwenig. Sie müßten doch als Bundesgesundheitsministerin die Länder zu mehr Aktivität auffordern.

SÜSSMUTH: Wir sind ständig im Gespräch. Und wir versuchen dort, wo eklatante Lücken sind, mit Sonderprogrammen auszuhelfen. Ich sage jetzt mal: Entzugstherapien fUr Prostituierte mit Aids, die finanzieren wir mit.

SPIEGEL: Sie reden so optimistisch von Entzugstherapien. Aber Sie wissen doch auch, daß nur etwa fUnf Prozent dieser Therapien erfolgreich verlaufen, weil die meisten Patienten vorzeitig abbrechen.

SÜSSMUTH: Ich bleibe dabei: Vorrang hat bei meiner Politik der drogenfreie Entzug. Auch bei meinem USA-Besuch habe ich Oberall ein klares Bekenntnis zur drogenfreien Therapie gehört.

SPIEGEL: Aber vielen graut vor den Qualen des körperlichen Entzugs, viele haben auch nicht die Kraft, ohne Droge zu leben. Zehntausende junger Menschen gehen täglich auf den Strich oder begehen Straftaten, um sich die Droge zu finanzieren. Sie warten verzweifelt auf Hilfe. Was können Sie ihnen anbieten?

SÜSSMUTH: Zunächst einmal praktische Lebenshilfe in Drogenberatungsstellen. Es stellt sich aber auch die Frage, ob ich ihnen mit Ersatzdrogen helfen kann, wieder ein menschenwürdiges Leben zu fuhren.

SPIEGEL: Sie meinen Methadon. . Ärzte, die dieses Medikament oder andere Ersatzdrogen verschreiben, müssen noch immer mit dem Staatsanwalt rechnen. Die wenigen offiziellen Methadon Programme, etwa in Nordrhein-Westfalen oder Hamburg, sind auf einen winzigen Personenkreis begrenzt. Tausende Heroin-Fixer stehen Schlange, um aufgenommen zu werden. Muß der Zugang zu Ersatzdrogen nicht erleichtert werden?

SÜSSMUTH: Es muß darüber nachgedacht werden, ob Methadon nicht unter anderen Voraussetzungen als bisher verschrieben werden kann. Bislang war das im wesentlichen bei akuter lebensgefahr eines Patienten möglich. Ich schlage vor, den Ärzten die MethadonVergabe dann zu erlauben, wenn keine andere lebensstOtzende Hilfe möglich ist, das heißt, wenn - aus welchen Gründen auch immer - eine Therapie zur Zeit nicht in Frage kommt.

SPIEGEL: Methadon-Gegner behaupten, wer die Ersatzdroge erhalte, habe kein Interesse mehr an einer Entzugstherapie.

SÜSSMUTH: Um dieser Gefahr zu begegnen, ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ärzten, die Ersatzdrogen verschreiben, und Therapieeinrichtungen unverzichtbar. Daran hat es in der Vergangenheit oft gefehlt. Sinnvolle Substitution muß an therapeutische Begleitung gebunden sein. Nur Ärzte und Therapeuten gemeinsam können denjenigen, denen anders nicht geholfen werden kann, zu einem menschenwürdigen Leben verhelfen.

SPIEGEL: Und wo bleibt das Ziel der Drogenfreiheit?

SÜSSMUTH: Experten haben mir berichtet, daß Drogensüchtige teilweise erst während der Methadon-Behandlung an einen Punkt kommen, wo sie sagen, jetzt mache ich eine Entzugstherapie. Einfach deshalb, weil sie nicht mehr weiter unter dem Druck stehen, sich täglich Geld ftlr Drogen beschaffen zu müssen und mehr Zeit haben, über ihre Situation nachzudenken. Ein Teil der Methadon- Empfänger kann auch wieder berufstätig sein.

SPIEGEL: Sie stehen mit dieser Haltung in Ihrer Partei ziemlich isoliert da, bekommen von CSU-Politikern Prügel für Ihre vermeintlich viel zu liberale Einstellung.

SÜSSMUTH: Ich habe Schwierigkeiten, dies unter liberal oder nicht liberal einzustufen. Entscheidend ist doch, mit welchen Maßnahmen wir Menschen helfen können, die in Drogenabhängigkeit geraten sind.

SPIEGEL: Andererseits geht Ihre Politik der kleinen Schritte für zahlreiche Betroffene viel zu langsam voran. Sie erwarten von der Bundesgesundheitsministerin schnellere und effektivere Lösungen.

SÜSSMUTH: Zur Drogenhilfe gehört ein langer Atem. Ich habe keine Patentrezepte.

SPIEGEL: Frau Süssmuth, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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