Die Bio-Revolution aus dem Tiefkühlfach

21.01.2012

Schnell eine Pizza nach der Arbeit, aber bitte gesund und lecker: Weil Convenience-Produkte bei Verbrauchern einen schlechten Ruf genießen, setzen die Hersteller jetzt auf Bio. Doch nicht überall ist auch Qualität drin.


Schon wieder zu lange gearbeitet. Der Gemüsehändler hat längst zu, der Fleischer auch, bleibt nur der Supermarkt. Also rasen wir hin, schon kurz vor neun, fischen eine Pizza aus der Kühltruhe, schieben sie zu Hause in den Ofen und eine Viertelstunde später in uns selbst hinein. Immerhin gibt es sie auch in Bioqualität. Das schlechte Gewissen, der Gedanke an das ganze Salz und Fett und Zusatzzeug muss gar nicht so laut werden.

Natur pur, ohne künstliche Aromen und Geschmacksverstärker - wer Fertignahrung kauft, den dürfte solch ein Versprechen erleichtern. Für die Anbieter ist es ein wirksames Verkaufsargument, das sie immer öfter auf ihre Verpackungen drucken. Der Appetit auf Bionahrung nimmt seit Jahren zu, der auf Fertiggerichte aber auch. Konzerne wie Knorr oder Nestlé, die beides in einer Suppentüte bieten, profitieren so von zwei Trends.

Jeder zweite Deutsche isst nach Angaben des Deutschen Tiefkühlinstituts mehrmals im Monat eine Tiefkühlpizza. Meist sind es jüngere Leute, die keine Lust, keine Zeit haben oder schlicht nicht wissen, wie man kocht. Convenience-Produkte, Bequemlichkeitsprodukte, heißen Fertiggerichte deshalb auch: Tiefkühl-Paella, Dosen-Ravioli, Tütensuppen und Currywurst aus dem Kühlregal ersparen putzen, schnibbeln, garen und den Abwasch.

Gemüse in Gummibärchenform

Den Aufwand haben vorher die Lebensmittelexperten, Food-Ingenieure und Chemiker, die sicherstellen, dass nach drei Minuten in der Mikrowelle auch das Ergebnis stimmt. In manchem Fertigprodukt steckt Know-how wie in einem Automotor, und ein enormes Werbebudget, damit das Produkt auch beim Kunden landet.

Fast 3 Mrd. Euro investiert die deutsche Lebensmittelindustrie pro Jahr in Werbung - deutlich mehr als die Autobranche. Mit 544.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 150 Mrd. Euro ist sie der viertgrößte deutsche Industriezweig. Zwei Drittel aller Lebensmittel werden industriell hergestellt, Marktführer der Fertiganbieter sind die internationalen Konzerne Nestlé (Maggi, Herta), Kraft Foods (Miracoli) und Unilever (Knorr, Langnese).

Weil der Markt längst gesättigt ist, lässt sich die Industrie ständig Neues einfallen: So kommt es zum Döner im Becher oder Gemüse in Gummibärchenform. Und zum Kampf gegen das schlechte Gewissen der Verbraucher. Befragt nach Ernährungsdefiziten, sagte laut einer Nestlé-Studie 2009 jeder vierte Deutsche zwischen 20 und 29 Jahren, dass er zu viele Fertiggerichte esse. Nun wirbt die Industrie mit Natürlichkeit und "Genuss ohne Reue". Im Trend liegen gekühlte Produkte ohne Konservierungsstoffe wie Nudeln, Salate, Sushi oder geschnittenes Obst und Gemüse. "Für Besseresser" vermarktet die Firma Hilcona ihre gekühlten Pastagerichte.

Die in Vakuum oder Schutzfolie verpackten Produkte müssen schnell verzehrt werden, da sonst der Vitamingehalt schwindet und sich Keime vermehren. Oft sind sie unverhältnismäßig teuer: Eine schon zerschnittene Melone kostet sechsmal so viel wie eine, die man noch zubereiten muss.

Mit natürlichen Zutaten ist es oft nicht weit her

Für Ernährungsberater sind diese Kühlprodukte durchaus empfehlenswert. Und ein Fortschritt, gemessen an ungekühlten Komplettmahlzeiten, Gemüsekonserven, Instant-Suppen und pseudogesunden Körnerriegeln. Doch wie viel ist dran an der Bioqualität von Fertiggerichten? Wo Experten genauer hinsehen, fallen diese schnell durch. Ein Test der Verbraucherzentrale Hamburg offenbarte, dass 92 Prozent von angeblich geschmacksverstärkerfreien Produkten dennoch glutamathaltigen Hefeextrakt enthielten. Der gilt nach dem Lebensmittelrecht nicht als Zusatzstoff. Die Firma Nestlé meint, es sei keine Verbrauchertäuschung, wenn "sich die Lebensmittelindustrie die Eigenschaften von Hefeextrakt zunutze macht".

Auch mit natürlichen Zutaten ist es oft nicht weit her: Hühnersuppe aus der Tüte enthält häufig nur 0,1 Prozent Fleisch - für den Geschmack sorgen Aromen. Die Verbraucherzentrale kritisiert: "In Fertiglebensmitteln steckt häufig kein einziges Gramm der abgebildeten Früchte, Nüsse oder Fleischsorten." So sparen die Hersteller viel Geld: Mit einem einzigen Gramm Aroma lässt sich ein ganzes Kilo Nahrung geschmacklich aufpeppen.

"Dass sie generell ungesund sind, stimmt nicht."

Wer sich als Kunde getäuscht fühlt von verlockenden Namen und appetitlichen Bildern, kann seinen Ärger direkt bei Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner abladen. Sie hat das Internetportal Lebensmittelklarheit.de gegründet, auf dem Verbraucher von Juli bis Oktober 2011 über 3800 Produkte angeschwärzt haben. Auch die Website Abgespeist.de der Organisation Foodwatch sammelt Hinweise, welcher Hersteller Etikettenschwindel betreibt. Manchmal wirkt das: Nestlé hat die Tütensuppen seiner Linie Natur Pur vom Markt genommen, weil sich über 4000 Verbraucher über den Hefeextrakt beschwert hatten. Die Firma Kuchenmeister verpflichtete sich, ihren Zitronenkuchen nicht mehr mit Zitronenfotos zu bewerben und so den Eindruck zu erwecken, der enthalte wirklich Früchte.

Doch es gibt sie inzwischen, die Fertiggerichte ganz ohne Aromastoffe. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat eine Positivliste aufgestellt: Etliche Bioprodukte und einige Tiefkühlgerichte schneiden dabei gut ab. Auch das Magazin "Öko-Test" untersuchte 26 Produkte: "Dass sie generell ungesund sind, stimmt nicht." Zwar steckt in allen Produkten zu viel Salz und keines schnitt mit "sehr gut" ab. Aber unter den Linsensuppen und Asia-Gerichten gibt es etliche "gute". Fertigpizzen und -lasagnen dagegen enthalten meist zu viele Kalorien, manchmal auch Analogkäse. Von 23 vegetarischen Fertiggerichten schnitten bei einem anderen Test des Magazins fünf mit "gut" oder "sehr gut" ab - nicht zuletzt, weil richtig viel Gemüse drinsteckt.

21.01.2012 / Tina Stadlmayer

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