Die Zukunft der Städte. Weiblich, ledig, alt - und unabhängig

08.06.2009

Die Mehrheit älterer Menschen lebt in Zukunft allein und in Städten. Handel und Dienstleister haben sie längst als Zielgruppe im Fokus. Allmählich stellen sich auch Stadtplaner und Anbieter von Haustechnik auf ihre Bedürfnisse ein.


Von Tina Stadlmayer

Rote Unterwäsche, ein beliebtes Geschenk für ältere Leute, hängt in vielen Schaufenstern in Sugamo. Dieser Tokioter Stadtteil hat sich auf die sogenannten Silver Ager spezialisiert. Während im hippen Harajuku die Jugend unterwegs ist, haben sich Kneipen und Geschäfte in Sugamo auf die ältere Kundschaft eingestellt.

Die Gehwege sind so breit, dass der elektrische Rollstuhl gut vorankommt , Geschäfte bieten neben Unterwäsche auch Hörgeräte, Handys mit großen Tasten, Computerprogramme für ältere Leute und Gehhilfen an. Apotheken, Sanitärfachgeschäfte und Beerdigungsinstitute reihen sich aneinander. Eine Karaoke-Bar heißt "Mukashi No Uta" - Lieder aus der alten Zeit. Auch in anderen Großstädten der Welt könnte es schon bald solche Viertel geben. Denn Japan ist ein Vorreiter, wenn es um die Verschiebung der Alterspyramide geht. Das Land zählt 20.000 Einwohner, die älter sind als 100 Jahre. Ein Fünftel der 128 Millionen Japaner ist über 65. Doch auch die Bevölkerung in Europa und Amerika wird im Durchschnitt immer älter - der Grund dafür sind die steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten.

Längst haben sich Industrie und Handel weltweit auf die - oft solventen - Kunden im Ruhestand eingestellt. Vor allem in den Bereichen Medizin, IT- und Konsumgüter forschen die Firmen nach Produkten und Dienstleistungen speziell für diese Zielgruppe. Kühlschrank schreibt die Einkaufsliste Einige wohlhabende Ältere wohnen schon seit Jahren in sogenannten intelligenten Häusern. Denn der Komfort und die Sicherheit, die ein solches Haus bietet, sind gerade für sie attraktiv. Zum Beispiel der intelligente Kühlschrank: Er registriert, was fehlt, und setzt es auf die Einkaufsliste. Der Hauscomputer sendet die Liste zum Supermarkt, der das Bestellte liefert.

Auch die intelligente Toilette ist bei ihren Nutzern beliebt: Ein computergesteuertes Messgerät kontrolliert die Urin-Werte. Und wenn der Hausbewohner seinen Finger in die Schlaufe des Brutdruckmessers steckt, erscheint das Ergebnis nach wenigen Sekunden auf dem Bildschirm. Der Computer übermittelt die Daten, falls nötig, in die Praxis des Hausarztes. Der japanische Architekt Ken Sakamura stellte sein erstes intelligentes Haus bereits Anfang der 90er-Jahre in Tokio vor. Inzwischen werden Häuser und Wohnungen in den vielen industrialisierten Ländern so ausgestattet. Alle technischen Geräte lassen sich miteinander vernetzen und zentral steuern.

In Deutschland haben sich Installateure, Planer und Architekten in der Initiative "Intelligentes Wohnen" des Zentralverbandes Elektrotechnik und Elektronikindustrie zusammengeschlossen. Sie beraten ihre Kunden so, "dass diese auch ihren künftigen Bedarf, zum Beispiel von Assistenzfunktionen im Alter, bei der Planung eines Hauses berücksichtigen". Technik soll helfen, nicht bevormunden Die Duisburger Firma Inhaus unterstützt Interessenten bei der Auswahl der Wohnsysteme und programmiert diese. 250 Privathäuser und Einheiten in Pflegeheimen, Wohnanlagen und Seniorenheimen hat die Firma in den vergangenen sechs Jahren in Deutschland ausgestattet. "Die Technik soll nicht die Herrschaft über das Haus übernehmen und seine Bewohner bevormunden, sondern sie im Alltag unterstützen", sagt Geschäftsführer Enrico Löhrke.

So können Sensoren dafür sorgen, dass automatisch ein Orientierungslicht eingeschaltet wird, wenn jemand nachts das Bett verlässt. Der Herd schlägt Alarm, wenn er nach dem Kochen nicht ausgeschaltet wird. Die Auswahl an Bedienelementen reicht vom Taster an der Wand über Touch Screens bis hin zu mobilen Minicomputern. Auch Sicherheit ist für viele ältere Menschen wichtig: Bewegungsmelder können registrieren, ob jemand ins Haus will. Auf Knopfdruck lassen sich Polizei oder Rettungsdienst vom Bett aus alarmieren. Eine Zentralverriegelung schließt sämtliche Fenster und Türen und aktiviert die Alarmfunktionen, wenn die Bewohner das Haus verlassen. Obwohl es intelligente Steuerungssysteme schon seit Jahren gibt, setzen sie sich erst langsam durch. 250 Wohneinheiten Häuser hat die Firma inzwischen weltweit damit ausgestattet.

Eng mit dem intelligenten Wohnen ist das "Ambient Assisted Living" (AAL) verbunden. Dahinter stecken Produkte, elektronische Systeme und Dienstleistungen für gebrechliche oder kranke Menschen. Damit soll AAL eine Alternative zum Pflegeheim bieten. Pflegepersonal, Ärzte, Familienmitglieder und Sicherheitsunternehmen können einbezogen werden. Das System sammelt Daten den Kunden und leitet sie bei Bedarf an den Arzt oder einen Notfalldienst weiter. Für mehr Bequemlichkeit bieten etliche Elektronik-Firmen Roboter an, die staubsaugen oder den Rasen mähen. Das japanische National Institute of Advanced Industrial Science and Technology hat den Roboter "Paro" entwickelt, der in Gestalt einer Baby-Robbe alten und gebrechlichen Menschen das Haustier ersetzt. Auch Pflegeroboter, die Getränke oder Medikamente verabreichen, sind in Japan bereits im Einsatz. Dort sind auch Handys und Laptops für Ältere Verkaufsrenner.

Gedächtnisersatz für Demente

Das IBM-Forschungslabor in Haifa in Israel entwickelt zurzeit gemeinsam mit einem EU-Konsortium das "Home of the Future" - das Haus der Zukunft für ältere Menschen. Es ist mit einem Gerät ausgestattet, das alle Gespräche und Aktivitäten aufzeichnet. Was für Gesunde keine angenehme Vorstellung ist, soll Dementen unterstützen: Telefongespräche, deren Inhalt der Bewohner vergessen hat, kann er damit noch einmal anhören. Das System verwaltet Termine und erinnert an Erledigungen. Wenn der Besitzer feststellt, dass Kaffeepulver fehlt, diktiert er die Information in den Mini-Computer. Diese verbindet die Stichworte "Kaffee" und "kaufen" mit dem Namen des Geschäfts, in dem der Kunde normalerweise seinen Kaffee kauft. Wenn dieser dann an dem Laden vorbeikommt, registriert der Computer dies und erinnert seinen Besitzer: "Sie müssen noch Kaffee kaufen!"

Mindestens so wichtig wie intelligente Häuser und Mini-Computer wird für die Generation 60 plus jedoch ein soziales Netzwerk sein, auf das sie sich verlassen können. In Deutschland wird die Mehrheit der Älteren Studien zufolge nicht verheiratet, sondern ledig, verwitwet oder geschieden sein. Die Alleinlebenden werden nicht nur altersgerechte Wohnungen und eine professionelle Infrastruktur von Hilfs- und Pflegeleistungen brauchen, sondern vor allem Nachbarn, Freunde und Ehrenamtliche an ihrer Seite.

Ein zukunftsweisendes Projekt sind die Mehrgenerationenhäuser. Alt und Jung leben dort in getrennten Wohnungen, aber unter einem Dach und erleichtern einander den Alltag. Die Älteren können sich wie Großeltern ab und zu um die Kinder kümmern. Die Jüngeren springen ein, wenn ältere Mitbewohner Hilfe brauchen. Generationenübergreifende Wohnprojekte, kombiniert mit ambulanten Hilfsdiensten und IT-gestützten Komfort- und Hilfsmaßnahmen ermöglichen nicht nur Selbstständigkeit bis ins hohe Alter, sondern bieten auch Nestwärme.

08.06.2009 / Tina Stadlmayer

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