Meisterin der Püllekes

10.03.03

Frauen der deutschen Wirtschaft


Von Tina Stadlmayer

Sie ziehen sich Schürze und Haube über, und verschwinden. Im Kräuterspeicher. Ganz geheim mischen Hubertine Underberg-Ruder und ihre Mutter Christiane Underberg ein- bis zweimal pro Monat die Zutaten nach dem 156 Jahre alten Rezept des Firmengründers Hubert Underberg. Kräuter aus 43 Ländern sind darin – mehr verrät die Juniorchefin nicht. Aufgeschrieben ist die Rezeptur nirgends. Nur die beiden Frauen, der Vater und drei Geistliche wissen die komplizierte Mischung herzustellen. Nur ihrem Mann, in der Firma für das Auslandsgeschäft zuständig, darf Hubertine Underberg-Ruder das Rezept verraten – aber erst nach der silbernen Hochzeit. Das dauert noch ein Weilchen.

40 Jahre zählt Underberg-Ruder. Zu jung, um ihren Mann in Familiengeheimnisse einzuweihen. Alt genug, um das Familienunternehmen an einer verantwortlichen Stelle zu führen: Underberg-Ruder ist Präsidentin des Verwaltungsrats der schweizerischen Dachgesellschaft der Spirituosengruppe. Denn Underberg ist nicht nur Underberg: Zur Gruppe gehören auch Marken wie Asbach, Pitú oder Valensina, die einen gehörigen Anteil am Umsatz von rund 500 Mio. Euro ausmachen.

Hauptprodukt sind natürlich die unverkennbaren, in braunes Papier gehüllten Underberg-Fläschchen. „Püllekes“ heißen sie im niederrheinischen Rheinberg, wo das Stammhaus steht. In über 100 Länder wird der verdauungsfördernde Kräuterlikör exportiert. Die Firmenchefin erzählt stolz: „In China heißen wir On Deng Bong. Das klingt ähnlich wie Underberg, bedeutet aber: wertvoll, Natur, Wohlbefinden.“ Dieses Wohlbefinden hat sich auf dem deutschen Markt in den vergangenen Jahrzehnten nicht automatisch eingestellt. Die Püllekes galten wie Boonekamp und Jägermeister als Altherren-Digestif, nachwachsende Generationen bevorzugten eher einen Aquavit oder einen Grappa, bestellten nach dem Essen lieber italienische Kräuterliköre wie Fernet Branca oder Ramazzotti.

Die Gefahr ist im Hause Underberg längst erkannt worden. „Moderner werden und wiedererkennbar bleiben“, hat Marketingchefin Hubertine Underberg-Ruder deshalb als Motto ausgegeben und Erscheinungsbild und Vermarktung der kleinen Portionsflaschen vorsichtig verändert.

Zielgruppe für den Underberg seien Konsumenten von 35 Jahren aufwärts. Underberg habe nun mal keinen Geschmack, den 20-Jährige mögen. Trotzdem: „Es ist zwar ein altes Produkt, aber nicht veraltet.“

Auch wenn der Hausspruch der Dynastie „semper idem“ laute – immer dasselbe. „Mein Ur-Ur-Großvater meinte damit aber nicht, dass sich nichts verändern dürfe, sondern dass die Qualität gleich bleiben müsse“, erläutert die Chefin. Beweis gefällig? Sogar das Geheimrezept sei im Laufe der Jahre ein wenig verändert, der Alkoholanteil zum Beispiel von 49 auf 44 Prozent gesenkt worden.

Derartige Entscheidungen fallen natürlich nicht jede Woche. Trotzdem hat sich Hubertine Underberg-Ruder nur für ein paar Tage ausklinken mögen, als sie im Februar ihr viertes Kind bekam. Etwas blass noch um die Nase sitzt die blonde Juniorchefin im Konferenzraum der Underberg-Dachgesellschaft in Dietlikon bei Zürich. Alles nicht so einfach: Heute sind die älteren Kinder erkältet, und der Babysitter ist ausgefallen, Ehemann Franz-Josef konnte seine Termine verlegen und auf das Jüngste aufpassen. Doch statt über die Doppelbelastung zu jammern, schwärmt Hubertine Underberg-Ruder vom Glück, beides vereinbaren zu können: die große Familie und den fordernden Job. Ihr kooperativer Ehemann, zwei Kinderfrauen, ein Babysitter und ihre Eltern unterstützen sie dabei. An drei Tagen arbeitet sie zu Hause, drei weitere ist sie im Büro oder zwischen den Firmensitzen in der Schweiz, in Deutschland und Österreich unterwegs. „Wenn ich mit den Kindern Schlittschuhlaufen bin, nehme ich halt das Handy mit, und zu Hause kann ich im Internet arbeiten und der Kinderfrau erklären, wie die Kinder die Lasagne mögen“, beschreibt sie ihren Alltag.

Klingt das abschreckend? „Ich hab’ gern sieben Sachen gleichzeitig am Hals“, sagt die promovierte Mikrobiologin. Vielleicht fiel deshalb die Wahl des Vaters auf sie: Der hatte seine vier Kinder mit dem Wissen erzogen, er würde das Unternehmen an den Sprössling geben, den er für den fähigsten hält. Und das war Hubertine.

Sie ist überrascht – und wohl auch ein wenig erschrocken –, dass die Entscheidung auf sie fällt, und schlägt dem Vater vor, die Firma gemeinsam mit ihrem Ehemann zu führen. Außerdem bittet sie die Eltern, sich nicht sofort aus dem Geschäft zurückzuziehen: „Ich sagte ihnen, dass wir mehrere Kinder haben und uns auch um sie kümmern wollten.“

28 Jahre jung war sie damals. Kein Zuckerschlecken, ihre erste Verwaltungsratssitzung: Die versammelten gestandenen älteren Herren empfangen sie skeptisch. Heute mag Verwaltungsratsmitglied Rolf Dubs, ehemaliger Rektor der Hochschule St. Gallen, das zugeben. Denn „es war eine richtige Entscheidung ihres Vaters. Sie hat in kürzester Zeit unheimlich gute Marktkenntnisse gewonnen.“ Der Professor lobt, es sei ihr gelungen, die Eltern gut einzubinden. Und: „Sie hat die Kraft, den eigenen Eltern im Verwaltungsrat zu widersprechen.“

Nach und nach ziehen sich die Eltern zurück, und die Junioren übernehmen. Werden ihre eigenen Kinder das Unternehmen eines Tages in der sechsten Generation führen? Hubertine Underberg-Ruder lacht: „Das wäre schön.“ Ernst fügt sie hinzu: „Aber das kann man nicht erzwingen. Wer eine solch anstrengende Aufgabe nur ungern übernimmt, wird damit nicht glücklich.“

14.05.2012 / Tina Stadlmayer

nach oben